Unsere Gesellschaft lebt von Menschen, die mehr tun als ihre Pflicht. Sie sind der Kitt unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Fast jede und jeder Zweite engagiert sich in Bayern ehrenamtlich. Das macht das Leben im Freistaat so lebenswert. Wir spüren jedoch, dass die Überzeugung, das Gemeinwesen aktiv mitgestalten zu wollen, nachlässt.
Aus zahlreichen Gesprächen mit Kirchen, Vereinen, Hilfs- und Blaulichtorganisationen wissen wir, dass es zunehmend schwieriger wird, Frauen und Männer zu finden, die sich längerfristig ehrenamtlich engagieren. Auch die Bereitschaft sich politisch einzubringen oder gar ein politisches Amt zu übernehmen, wird weniger. Gleichzeitig wächst die Erwartungshaltung gegenüber „dem Staat“. Aber auch dort fehlen für viele Aufgaben Kräfte, etwa im sozialen Bereich. Bei der Bundeswehr müssen wir ebenfalls erkennen, dass es mehr Personal braucht, um das eigene Land, die Partner in der EU und das NATO-Bündnis gemeinsam mit unseren Partnern zu verteidigen. Aufgrund einer neuen Bedrohungslage erweist sich die Aussetzung der Wehrpflicht rückblickend als Fehler.
Der Staat ist kein abstraktes Gebilde und schon gar kein Motor, der von alleine läuft. Der Staat sind wir alle. Er wird durch die Gesellschaft geformt und lebt durch das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger. Jede und jeder einzelne ist ein Teil des Staates. Bürger sein heißt auf der einen Seite, Rechte und Freiheiten zu genießen, aber auf der anderen Seite auch, Pflichten gegenüber den Mitbürgern und der Gemeinschaft zu haben, die die Rechte und Freiheiten aller tragen. Das Bewusstsein, dass der Staat kein einseitiger Dienstleister ist, sondern mit dem Engagement vieler einzelner funktioniert, ist existentiell und muss in unserer Gesellschaft neu gestärkt werden.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist die Grundlage, auf der stabile demokratische Strukturen aufbauen. Die gemeinsam übernommene Verantwortung für unser Land ist aus gutem Grund Teil unseres Wertefundaments. Der Staat braucht Menschen, die sich in seinen Dienst stellen. Und deshalb brauchen wir einen Impuls für mehr Gemeinschaftsgefühl. Wir brauchen mehr Sinn für das Gemeinwohl. Der Wille, gemeinsam den Staat zu tragen, ist Voraussetzung für einen funktionierenden demokratischen Rechtsstaat. Dieses positive Bekenntnis zu unserem Land als Ausdruck einer demokratischen Willensnation und eines darauf bezogenen Patriotismus gehört für uns zu unserer Leitkultur und leistet einen wertvollen Beitrag zur gelingenden Integration. Davon profitieren Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen, auch wenn letztere junge Menschen, die sich in den Dienst der Gemeinschaft stellen, einige Zeit entbehren muss.
Nicht nur der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat deutlich gemacht, wie verletzlich unser Staat ist. Unsere Sicherheit wird im Inneren wie auch im Äußeren durch mannigfaltige Krisen herausgefordert. Aber auch unsere soziale Sicherheit wird künftig nicht mehr auf Dauer zu garantieren sein, wenn nicht die Gesellschaft insgesamt einen größeren Beitrag leistet. Angesichts dieser Herausforderungen besteht die Notwendigkeit neue Wege zu beschreiten, um auch in Zukunft unseren hohen Sicherheits- und Sozialstandard im Interesse der Menschen aufrecht zu erhalten.
1. Verpflichtende Gesellschaftszeit für Frauen und Männer
Wir setzen uns daher ein für die Einführung einer verpflichtenden Gesellschaftszeit für Frauen und Männer. Die Dauer sollte sich grundsätzlich auf ein Jahr erstrecken. Es braucht allerdings auch flexible Modelle, die verschiedene Lebensentwürfe abdecken, um den jungen Menschen ein möglichst breites Spektrum an Auswahlmöglichkeiten anzubieten. In Betracht kommen beispielsweise Mehrjahresoptionen z.B. für eine berufsbegleitende Ableistung oder ein Lebenszeitkonto. Denkbar ist auch eine Art Reservistenstatus für gesellschaftliche Aufgaben, um die Menschen mit ihren Qualifikationen und Erfahrungen auch über die Gesellschaftszeit hinaus auf freiwilliger Basis einsetzen zu können, wenn sie und ihre Kompetenzen zum Beispiel bei Katastrophen dringend gebraucht werden.
Die Gesellschaftszeit bietet die Chance, notwendige soziale, zivile und militärische Sicherheitsstandards auf Dauer zu sichern. Sie trägt zudem zu einem neuen Aufbruch unserer Gesellschaft bei und wird Zugpferd für von Fachkräftemangel betroffene soziale Berufe sein. Für die notwendige Änderung des Grundgesetzes machen wir uns auf Bundesebene stark. Der Dienst kann in für die Gesellschaft zentralen Bereichen des Gemeinwesens wie Kirchen, Hilfs- und Blaulichtorganisationen, sozialen Einrichtungen oder in der Jugendarbeit in Vereinen abgeleistet werden.
Wir stimmen mit den Trägerorganisationen überein, dass der verpflichtende Dienst auch darüber hinaus attraktiv ausgestaltet werden muss – etwa durch einen ausreichenden finanziellen Ausgleich und eine hinreichende pädagogische und fachliche Begleitung. Zudem sollen zertifizierte Aus- und Fortbildungen und Anrechnungen für weitere Ausbildungsabschnitte den Dienst für die berufliche Aus- und Weiterentwicklung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer attraktiv machen. Weitere Vergünstigungen wie ein kostenloser Führerschein, Erleichterungen beim Zugang zu Studienplätzen wie etwa beim Medizinstudium über den Sanitätsdienst der Bundeswehr, ein Vorrang bei der Kreditvergabe durch die KfW oder eine bevorzugte Behandlung bei BAföG-Darlehen sollen geprüft werden.
Klar ist, dass neben der Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen der Aufbau der notwendigen Strukturen einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Mit dem schrittweisen Aufwuchs der Plätze für die Freiwilligendienste muss schon jetzt begonnen werden. Das geringe Platzangebot darf nicht zum Hemmschuh für all diejenigen werden, die sich bereits heute engagieren wollen. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, die Rahmenbedingungen für die Freiwilligendienste attraktiver zu gestalten und die Zahl der Plätze für Freiwilligendienste wie das Freiwillige Soziale Jahr, das Freiwillige Ökologische Jahr und den Bundesfreiwilligendienst umfangreich zu erhöhen. Hierfür müssen im Haushalt 2025 die nötigen Weichenstellungen vorgenommen werden.
2. Wehrpflicht
Wir setzen uns dafür ein, in einem ersten Schritt die Aussetzung der Wehrpflicht stufenweise zurückzunehmen. Ziel muss es sein, eine neu gestaltete Wehrpflicht für Männer und Frauen als einen von mehreren Diensten in die verpflichtende Gesellschaftszeit einzugliedern. Die Zeit drängt: Die notwendige Änderung des Grundgesetzes noch in dieser Legislaturperiode von vornherein auszuschließen, ist eine vertane Chance! Das vom Bundesverteidigungsministerium vorgeschlagene Wehrdienst-Modell reicht nicht, um auf Dauer zur Verstärkung der aktiven Truppe und substanziell zum Aufwuchs der Reserve beizutragen. Um die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes sicherzustellen und die Verankerung der Bundeswehr in der Mitte unserer Gesellschaft weiter zu stärken, brauchen wir modern ausgerüstete, kampfstarke, durchhaltefähige Streitkräfte und eine gut ausgebildete Reserve.
3. Mehr Anerkennung für und bessere Information über ehrenamtliches Engagement
Wir wollen dem ehrenamtlichen Engagement bei Kirchen, Parteien, Vereinen sowie Hilfs- und Blaulichtorganisationen mehr Anerkennung entgegenbringen. Junge Menschen, die sich während der Schul- oder Studienzeit oder während der Ausbildung über einen längeren Zeitraum für das Gemeinwohl engagieren, sollen davon profitieren, beispielsweise mit zertifizierten Aus- und Fortbildungen oder durch eine verstärkte Vergabe der Bayerischen Ehrenamtskarte auch an Nicht-Vereinsmitglieder.
Zudem wollen wir Menschen jeden Alters noch besser über die vielfältigen Möglichkeiten ehrenamtlichen Engagements in- und außerhalb von Vereinen informieren. Wir setzen uns daher für einen bayernweiten Informations- und Aktionstag für Schülerinnen und Schüler an bayerischen Schulen ein. Auch wollen wir die (digitalen) bayerischen Freiwilligenplattformen stärker bekanntmachen und eine Informationskampagne „Bayern engagiert sich“ starten.